Erlernte Hilflosigkeit im Kunstunterricht

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Erlernte Hilflosigkeit im Kunstunterricht

Qualitative Ursachenforschung zur Entstehung von Hilflosigkeit und eines positiven Kompetenzgefühls in der Kunstpraxis (Arbeitsstand August 2015)

 

Trotz der hohen Relevanz im kunstpädagogischen Bereich gibt es sowohl in der kunstdidaktischen als auch in der psychologischen Forschung keine empirischen Studien zum Auftreten von hilflosem Verhalten im Kunstunterricht und Unterricht im Allgemeinen (vgl. Broome 1998:66). Die Frage, warum Kinder oder Jugendliche zu der Auffassung gelangen, keine künstlerische Begabung zu besitzen, und so deren kunstpraktische Leistungen im Kunstunterricht oft in Diskrepanz zu den eigenen tatsächlichen kunstpraktischen Fähigkeiten stehen, blieb bisher unerörtert. Franz Billmayer zeigt in seinem Aufsatz und der gleichnamigen Schriftensammlung „schwierige SchülerInnen im Kunstunterricht“ Problemfelder und ansatzweise Erklärungen aus kunstpädagogischer Sicht auf (Billmayer 2013).

Die qualitative empirische domänspezifische Studie leistet einen Beitrag zur Erforschung der erlernten Hilflosigkeit im Kunstunterricht und zielt in erster Linie auf deren mögliche Entstehungsursachen im Kunstunterricht und der Schülerbiographien ab. Neben der Ursachenforschung zur erlernten Hilflosigkeit im Kunstunterricht versucht die Studie zu erörtern, wie Kunstunterricht gestaltet werden kann, damit Schüler im Fach Kunst ein Kompetenzgefühl, welches Grundvoraussetzung für intrinsisch motiviertes Lernen ist, entwickeln können. Die qualitative Studie basiert auf den folgenden Methoden der Datenerhebung:

  • Leitfaden gestützte themenzentrierte Interviews mit 22 SchülerInnen aus fünf Klassen eines Jahrgangs eines Gymnasiums in Baden Württemberg.
  • Kurzporträts und Leitfaden gestützte themenzentrierte Interviews mit den einzelnen Kunstlehrern zu Aspekten des Unterrichts und Umgang mit SchülerInnen
  • Unterrichtsbeobachtungen und Protokolle zu Unterrichtsmethoden der Lehrer sowie Lehrer- und Schüler-Verhalten hinsichtlich der Fragestellung
  • Qualitative Fragebögen von 139 SchülerInnen zu zwei verschiedenen Untersuchungszeitpunkten zur Feststellung der Lageorientierung, Interessen, Haltung zum Kunstunterricht und zu den Kunstlehrern

Die 22 Einzelfälle wurden aufgrund ihres beobachtbaren Verhaltens im Unterricht und aufgrund der Auswertung der Fragebögen aus fünf Parallelklassen so ausgesucht, dass sowohl sich auffällig kompetent erlebende als auch sich hilflos erlebende sowie unauffällige SchülerInnen betrachtet werden können. Sie stellen somit eine repräsentative Menge von Fällen mit unterschiedlichen kunstpraktischen Erfahrungen bei vier verschiedenen Lehrern der Untersuchungseinheit im Untersuchungszeitraum von fünf Jahren an einem allgemeinbildenden Gymnasium dar, die aufgrund der systematischen Vorgehensweise der Inhaltsanalyse von Mayring (2010) und sorgsamen Kategorienbildung analysiert und in das 8-Felder-Modell eingeordnet wurden. Acht Einzelfälle, die zentrale Charaktereigenschaften im höchst möglichen Kontrast zueinander aufweisen und folglich für die meisten anderen SchülerInnen stellvertretend stehen können, wurden wiederum ausgewählt und hinsichtlich der Ursachen analysiert. Das zuvor aus der Theorie abgeleitete 8-Felder-Modell konnte mit den inhaltsanalytischen Ergebnissen bestätigt und ergänzt werden.

 

Das ursprünglich von Seligman (Seligman 1975) entdeckte psychologische Phänomen der erlernten Hilflosigkeit und dessen Erweiterung durch ihn und andere (Abramson 1978, Kuhl 1984, Dweck & Legget 1988) bieten Erklärungsansätze für das begabungsdiskrepante Verhalten von SchülerInnen im Kunstunterricht. „Hilflosigkeit ist der psychologische Zustand, der häufig hervorgerufen wird, wenn Ereignisse unkontrollierbar sind. … ein Ereignis ist unkontrollierbar, wenn wir nichts daran ändern können, wenn nichts von dem, was wir tun, etwas bewirkt.“ (Seligman 1999:8) Die Erwartung von Unkontrollierbarkeit hat wiederum Reaktionen wie Passivität und Schwierigkeiten zu lernen zur Folge. (vgl. Meyer 2000:30) Bis heute gibt es keine allgemein anerkannte Theorie zur erlernten Hilflosigkeit. (vgl. Meyer 2000:30) Entscheidend für die Herausbildung von einem Gefühl der Hilflosigkeit ist beispielsweise, wenn ein Schüler im Kunstunterricht seinen Misserfolg auf fehlende Begabung (internal) zurückführt, weil er in Kunst generell nicht gut ist (global) und man daran nichts ändern kann (stabil). Dabei spielt der von Dweck und Diener in ihrem Motivations-Prozess-Modell berücksichtigte Faktor, ob Schüler ein eigenes Lernziel („Ich möchte Porträtzeichnen können.“) oder ein Leistungsziel („Ich möchte eine 2 in Kunst.“) verfolgen eine entscheidende Rolle. Motivierter sind Schüler, wenn sie eigene Lernziele statt extern festgelegte Leistungsziele verfolgen. Dies erfordert jedoch ein dynamisches Selbstkonzept des Schülers, der daran glaubt, durch seine Bemühungen seine Fähigkeiten zu erweitern (Zuwachstheoretiker). (vgl. Elliot & Dweck 2007: 15ff) Ein Schüler, der seine eigene Begabung für nicht erweiterbar hält (Entitätstheoretiker), wird keinerlei Anstrengung zeigen, an seiner Leistung etwas zu verbessern, weil er davon ausgeht, dass dies nicht möglich ist. (Stiensmeier-Pelster 1987: 120 ff).

Das Begabungskonzept ist eng mit dem Kompetenzempfinden des Individuums verknüpft und relevant für die Ausprägung der Hilflosigkeit (vgl. Broome 1998:46 ff). Verfügen die SchülerInnen über ein flexibles Begabungskonzept und glauben an die Steigerung und Existenz ihrer Fähigkeiten, empfinden sie sich auch als kompetent, erfolgreich tätig zu werden (vgl. Dweck 1996:69). In der Praxis zeigt sich, dass der Mythos der künstlerischen Begabung maßgeblich für die Herausbildung hilfloser SchülerInnen im Fach Kunst verantwortlich ist und fehlendes Interesse und Erfolg mit einem Mangel an Begabung erklärt wird (Dweck 2009: 205ff). Dweck und Seligman weisen darauf hin, dass Begabung überbewertet wird und Kinder mit dynamischem Selbstbild erfolgreich sind (Seligman 2008:221 ff). Diese wissen, dass Leistungen durch Bemühungen erzielt werden, während Kinder, deren Talent gelobt wird, bald ihre Leistungen einstellen (Dweck 2009:87 ff). Internale Begabungsattribution bewirkt ein Absinken des Selbstwertes sowie der Motivation. Externale Attributionen in Bezug auf die Begabung steigern hingegen das Selbstwertgefühl (vgl. Broome 1998:36).

Als Kunstpädagogen sind wir tagtäglich mit verschiedenen Auswirkungen und Schweregraden erlernter Hilflosigkeit konfrontiert. SchülerInnen, die in Naturwissenschaften begabt sein können, handeln im Kunstunterricht wie verhaltensauffällige Kinder. Sie schwatzen, arbeiten langsam oder gar nicht und liefern Ergebnisse ab, die weit unter dem Niveau ihrer Altersstufe liegen.

  • In den Interviews zeigen sich einige Faktoren, die für die Ausbildung von kompetentem (bewältigungsorientiertem) bzw. hilflosem Verhalten von Relevanz scheinen. Dazu gehören: Frühförderung im Kindergarten und der Grundschule, Förderung durch die Eltern, eigenes Begabungskonzept und dessen Abhängigkeit von Noten,
  • erste Erinnerungen an das eigene kunstpraktische Arbeiten, Haltung gegenüber dem Kunstlehrer, Funktion/ Bedeutung des Kunstunterrichts für die SchülerInnen, Ausprägung/ Grad der Eigenmotivation, kunstpraktisch zu arbeiten, Umgang mit Kritik an eigenen Arbeiten,
  • Erklärungen und Bedeutung von schlechten und guten Leistungen,
  • demotivierende Schlüsselerlebnisse,
  • Diskrepanz von eigenen und fremden Lernzielen sowie Erwartungen an den Unterricht,
  • Umgang mit und Wertschätzung der eigenen Arbeiten.

Meist stellen SchülerInnen im Alter von 10-13 Jahren ihr Interesse am kunstpraktischen Arbeiten ein. Es zeigt sich, dass diese Phase des visuellen Realismus (Widlöcher 1995:55-56) mit der Entstehung erlernter Hilflosigkeit im Zusammenhang steht. In dieser Zeit erlebt sich das Kind zum ersten Mal bewusst hilflos, wenn es durch mangelnde Übung den eigenen Erwartungen nicht entsprechen kann, visuell realistisch zu zeichnen. Der Bildungsplan begünstigt diese Entwicklung, da perspektivisches und realistisches Zeichnen ab Klasse 7 gefordert wird. Des Weiteren wird das Bedürfnis nach visuellem Realismus auch durch die leistungsbeurteilende Notengebung begünstigt. Schüler erleben sich als kompetent, wenn sie realistisch zeichnen können. Hilflose Schüler hingegen vermeiden dies. Ebenso stellt der visuelle Realismus eine Insel der Kontrollierbarkeit im sonst so subjektiven Raum des Kunstunterrichts dar (Wetzel 2015). Die Einstellungen der Lehrer zum Begabungskonzept, ihre Unterrichtsmethoden, die Art und Weise von Korrektur und Benotung , und die Einstufung von SchülerInnen als begabt bzw. hilflos von Seiten der Lehrer beeinflussen das Kompetenzerleben der SchülerInnen (Elliot & Dweck 2007:307 ff).

SchülerInnen, die Misserfolg im Kunstunterricht mit fehlendem künstlerischem Talent attribuieren, leiden unter einer globalen oder spezifischen Hilflosigkeit und weisen schlechte Leistungen und fehlendes Interesse am Kunstunterricht auf. Sie haben kein Vertrauen in ihre kunstpraktischen Fähigkeiten und ein mangelndes Kompetenzgefühl.

Spezifische externale Hilflosigkeit wird am häufigsten mit dem Geschmack und den Vorlieben der Lehrer begründet und ist variabel und damit weniger leistungsbeeinträchtigend. Jungen und Mädchen zeigen leicht unterschiedliche Ausprägungen von hilflosem Verhalten (vgl. Broome 1998: 104 ff) auch im Kunstunterricht: Jungen zeigen eher totales Desinteresse und erledigen die gestellten Aufgaben kaum oder gar nicht. Sie werten das Fach Kunst als wenig sinnvoll ab, spielen sich als Klassenclown auf und diskutieren mit dem Lehrer. Mädchen zeigen eher Hoffnungslosigkeit, bemühen sich aber dennoch verzweifelt, eine Leistung zu erbringen. Mädchen, die gar kein Interesse am Kunstunterricht zeigen oder ihn als Unsinn abwerten, sind seltener. SchülerInnen (Zuwachstheoretiker) mit einem Kompetenzgefühl glauben an ihren Erfolg und besitzen auch den Mut, Neues auszuprobieren. SchülerInnen, die sich hilflos fühlen und Entitätstheoretiker sind, glauben nicht an die Erweiterbarkeit ihrer Fähigkeiten, nicht an sich und nicht an ihr Können. Sie haben Angst, Aufgaben zu lösen oder Neues auszuprobieren, und beginnen nur zögerlich (Dweck & Legget 1988). Aufgrund des Zusammenhangs von Hilflosigkeits- und Kompetenzgefühl sowie Begabung und Leistungsmotivation lassen sich im Kunstunterricht acht SchülerInnentypen ableiten und in Interviews bestätigen. Es gibt vier „hilflose“ Typen und vier „kompetente“ Typen (Arbeitsfassung Stand August 2015):

  1. „Der resignierte Hilflose“ – ist unbegabt, unmotiviert und verhält und fühlt sich hilflos. „Es bringt doch eh nichts, Kunst ist reine Zeitverschwendung, wenigstens kann man schwatzen und Kaugummi kauen.“ Dieser Typus ist der Extremfall der Hilflosigkeit, er hat resigniert und glaubt weder an Erfolg, noch versucht er, Misserfolg zu vermeiden. Dieser Typ ist einer der wenigen, der Kunstunterricht nicht mag, den Unterricht stört, sich verweigert und meist auch schlecht gelaunt oder apathisch ist. Er wird oft als „schwieriger“ Schüler bezeichnet.
  2. „Der unsichere Beständige“ – ist unbegabt, dennoch motiviert und verhält und fühlt sich hilflos. „Ich frag ganz viel und lass mir alles zeigen, damit ich keine 4 bekomme.“ Dieser Schüler bemüht sich trotz gefühlter Hilflosigkeit, die z.B. auf fehlenden Fertigkeiten/ Wissen beruhen. Er versucht oft, Misserfolge zu vermeiden und nicht negativ aufzufallen. Aus dem Schüler kann sich mit genügenden Erfolgserlebnissen aber Typ 6 in schwächerer Ausprägung entwickeln,.
  3. „Das blockierte Talent“ – ist begabt, unmotiviert und fühlt und verhält sich hilflos. „Am Ende versaue ich es doch eh wieder und es sieht blöd aus. Nein ich kann das nicht!“ Obwohl der Schüler Talent hätte, ist er so davon überzeugt, keine Fähigkeiten zu besitzen, dass er unmotiviert arbeitet, so Erfolge sabotiert und sein negatives Selbstkonzept bestätigt.
  4. „Der unsichere Künstler“ – ist begabt, motiviert, verhält sich wechselnd hilflos/ kompetent, fühlt sich aber eher unsicher oder sogar hilflos. „Ja ich weiß nicht, ob es gut ist, den anderen gefällt es glaub ich. Ja, doch mir hat es Spaß gemacht, doch ich hätte dies und jenes noch besser machen können.“ Der Schüler schöpft kein Selbstwertgefühl aus seinen Leistungen, weil mangelndes Selbstbewusstsein ihn daran hindert, sich als kompetent zu erleben. Er zeigt eher ein unsicheres, hilfloses Verhalten oder verhält sich unauffällig.
  5. „Der hilflose Pseudokompetente“ – ist unbegabt, eher unmotiviert und verhält sich kompetent, fühlt sich aber im Grunde hilflos. „Eigentlich kann ich das gut und ich hatte auch eine super Idee, aber irgendwie hat es nicht so geklappt, wie ich wollte und dann hatte ich keine Lust mehr.“ Dieser Schülertypus sprüht scheinbar vor Ideen, verhält sich geschäftig, doch kann seine Ideen nie befriedigend umsetzen und hört bei der ersten Herausforderung demotiviert auf. Das widersprüchliche Verhalten beruht auf einer Vermeidung von Hilflosigkeit und hat zahlreiche Ursachen.
  6. „Der erfolgreiche Musterschüler“ – ist unbegabt, motiviert und verhält und fühlt sich kompetent. „Wenn ich mich anstrenge, kommt meistens etwas sehr Gutes dabei heraus.“ Dieser Schülertypus entspricht dem Ideal der pädagogischen Förderung. Er entfaltet sein Potential und ist in der Lage durch Anstrengung und befolgen von Hinweisen relativ gute Ergebnisse auch ohne Talent hervorzubringen, so dass es am Ende keine Rolle mehr spielt, ob es tatsächlich vorhanden ist. Wie dieses erfolgsorientierte Verhalten, gepaart mit einem Kompetenzgefühl, gefördert werden kann, ist eines der Ziele der Untersuchung.
  7. „Der faule Künstler“ – ist unmotiviert, begabt und verhält sich kompetent, wenn er kunstpraktisch arbeitet, hat nur aus verschiedenen Gründen keine Lust. „Wenn mich die Aufgabe interessiert, bin ich voll motiviert, ansonsten gibt es gerade Wichtigeres in meinem Leben.“ Dieser Schüler hört aus verschiedenen Gründen auf, kunstpraktisch zu arbeiten und sein Potential zu fördern. Er versagt auch oft in Prüfungssituationen. Dies sind die talentierten Schüler, die irgendwann sogar vom Musterschüler ohne echte Begabung eingeholt werden.
  8. „Der fleißige Künstler“ – ist motiviert, begabt und verhält und fühlt sich kompetent. „Ich kann es auf jeden Fall noch besser. Ich mache gerade einen Kurs/ bring mir gerade das Porträtzeichnen bei.“ Diese Schüler haben Talent, fördern und fordern sich selbst, setzen sich selbst Lernziele und arbeiten auch unter widrigen Umständen weiter. Sie lassen sich auch von negativer Kritik nicht beeindrucken. Das sind die Selbstläufer im Unterricht, die sich allerdings langweilen, wenn es zu einfach ist und zu wenig Freiheit gibt.

 

Insgesamt kann festgestellt werden, dass SchülerInnen, die sich für künstlerisch unbegabt halten, tendenziell eher hilfloses Verhalten und schlechte Leistungen im Kunstunterricht zeigen (Dweck und Legget 1988). Die Ursachen für diese Überzeugung führen SchülerInnen auf Noten oder Erlebnisse mit anderen Lehrern oder Eltern zurück: „Meine Mama kann auch nicht malen oder meine Lehrerin sagte, ich habe kein Talent oder ich konnte machen, was ich wollte, ich habe immer nur eine 4 bekommen“. Spezifische internale Hilflosigkeit wird durch fehlendes Talent oder Expertenmeinungen begründet und ist damit eher stabil. Lehrerhaltungen können erlernte Hilflosigkeit provozieren (Elliot & Dweck 2007:308 ff). Es spielt beispielsweise eine Rolle, ob der Kunstlehrer selbst Zuwachs- oder Entitätstheoretiker ist. Hält er seinen Schüler für hoffnungslos und untalentiert, dann internalisiert der Schüler die Haltung des Experten, wo durch sie zum Teil seines Selbstkonzepts wird (Pygmalion-Effekt). Die Art und Weise von Lob oder Kritik hat ebenfalls Einfluss auf die Leistungen, ebenso fehlende Wertschätzung von Bemühen und Anstrengung: „In der Kunst zählt eben nicht, wie sehr man sich bemüht hat, das Ergebnis muss halt auch stimmen.“ demotiviert SchülerInnen und so wird ihnen die Möglichkeit genommen, durch weitere Bemühungen irgendwann auch das „bessere“ Ergebnis zu erzielen. Zu eng angelegte Aufgaben demotivieren begabte Schüler („Ich wollte den Hintergrund halt mit Seesternen bemalen und nicht einfach nur tupfen, durfte aber nicht.“) (Wetzel, 2015) Für hilflos fühlende Schüler sind enge Anleitungen und viele Bildbeispiele jedoch wichtige Hilfen, um Erfolge erleben und das Kompetenzgefühl steigern zu können. („Ich finde Aufgaben, wo man machen kann, was man will, doof. Da bekomm ich nie was hin.“) (Wetzel, 2015) Der Geniestatus von Künstlern wird aufrecht erhalten: Schüler erhalten nie Einblicke in die Anfänge von Künstlerkarrieren.

 

Die handlungspädagogische Frage, welche Form von Unterricht und Lehrerverhalten das Kompetenzgefühl der SchülerInnen fördert und das Entstehen von Hilflosigkeit verhindert, kann durch richtungsweisende Parameter und ein verstärktes Bewusstsein für Probleme des Kunstunterrichts beantwortet werden. Exemplarisch wird hier das Problemfeld Bewertung und Benotung aufgezeigt. Die SchülerInnen fühlen sich zwar meist fair benotet, unterstellen dem Lehrer jedoch eine gewisse Subjektivität in der Bewertung von kunstpraktischen Arbeiten. Dadurch kann ein positives Kompetenzgefühl bei SchülerInnen zerstört werden, allein weil Erfolg unkontrollierbar scheint. Aus Forschung und Praxis ergeben sich folgende Richtlinien für den wertenden Umgang mit SchülerInnenarbeiten (Broome 1998:157 ff): individuelle Lernzielorientierung statt globaler Leistungsorientierung, Selbstbewertung und Evaluation anstatt alleiniger Fremdbewertung, künstlerisches Tagebuch zum Erlernen von Planen und Bewerten, Fremdbewertung als qualitatives Gruppenfeedback und verbale Wertschätzung von Unterschieden und Besonderheiten der Schülerarbeiten statt Kritik anhand von Kriterien, die Konformität der Arbeiten erfordern, um eine Benotung zu rechtfertigen, Bewertung von erreichten Lernzielen statt kurzfristigen Leistungszielen sowie Maßstäbe von Lehrern und Schülern relativieren und transparent machen. Studien zeigen (Dweck 2009: 70 ff), dass die Schule erlernte Hilflosigkeit selbst erzeugt, und es fraglich ist, ob die Kompetenzorientierung erfolgreich sein wird, denn ein erfolgreicher Kompetenzerwerb beginnt mit einem positiven Kompetenzgefühl. Das neue Unterrichtskonzept muss die Entstehung eines Kompetenzgefühls fördern und könnte ideentheoretisch auf der kritisch konstruktiven Didaktik beruhen (Reich 2003).

 

Literatur:

Abramson, L. Y., Seligman, M. E. P. &Teasdale, j. D. (1978). Learned Helplessness in humans: Critique and reformulation. Journal of Abnormal Psychology.

Billmayer, F. (2013). Schwierige SchülerInnen im Kunstunterricht. Erfahrungen, Analysen, Empfehlungen. Flensburg

Broome, P. (1997). Implizite Begabungstheorien und erlernte Hilflosigkeit: Frankfurt.

Dweck, C. S. & Legget, E. L. (1988). A social-cognitive approach to motivation and personality. Psychological Review

Dweck, C. S. (1996). Implicit theories as organizers of goals and behaviour. In P. M. Gollwitzer & J. A. Bargh (Eds.), The psychology of action: Linking cogintion and motivation to behaviour (pp. 69-90) New York

Dweck, C. S. (2009). Selbstbild. Wie unser Denken Erfolge und Niederlagen bewirkt. München

Elliot, A. J., Dweck, C. S. (2007). Handbook of competence and motivation. New York, London

Fauser, P., Heller, F., Waldenburger , U. (2015). Verständnisintensives Lernen: Theorie, Erfahrungen, Training. Seelze

Kuhl, J. (1984). Volitional aspects of achievement and learned helplessness: Toward a comprehensive theory of action control. In B. A. Maehr (Ed.), Progress in the experimental personality research (Vol.13). New York

Mayring, P. (2010). Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken, Weinheim und Basel

Meyer, Wulf-Uwe (2000). Gelernte Hilflosigkeit: Grundlagen und Anwendungen in Schule und Unterricht. Hans Huber

Reich, K. ( 2003). Muss ein Kunstdidaktiker Künstler sein? Konstruktivistische Überlegungen zur Kunstdidaktik. In: Buschkühle, C.-P. (Hg.): Perspektiven künstlerischer Bildung. Köln

Seligman, M. E. P. (1975). Helplessness. On depression, development, and death. San Fransico

Seligman, M. E. P. (2006). Learned Optimism. New York: Knopf.

Seligman, M. E. P. (2008). Der Glücksfaktor. Warum Optimisten länger leben. Bergisch Gladbach

Seligman, M. E. P. (1999) (3.Auflage). Erlernte Hilflosigkeit. Weinheim und Basel

Wetzel, C. (2015) Erlernte Hilflosigkeit im Kunstunterricht. Qualitative Ursachenforschung zur Entstehung von Hilflosigkeit und eines positiven Kompetenzgefühls in der Kunstpraxis (in Arbeit).

Widlöcher, D. (1984). Was eine Kinderzeichnung verrät. Methode und Beispiele psychoanalytischer Deutung. Frankfurt am Main

 

 

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